DER STUMME TEXT
DER STUMME TEXT. Eine Kritik der maschinellen Übersetzung
“Warum man überhaupt übersetzt, warum Horaz, ich weiss nicht, wieviel hundertmal ins Deutsche übersetzt worden ist und jeder Übersetzer immer wieder den kindlichen Glauben hat, es besser machen zu können als seine Vorgänger, die er nebenbei bemerkt am besten gar nicht liest? Die Antwort ist einfach: Zwei Dinge der Liebe, das fremde Gedicht und die eigene Sprache wollen zueinander.”
"Der stumme Text" von Ettore Mjölsnes ist ein Essay eines professionellen Übersetzers, der aus der Praxis heraus die Auswirkungen von maschinellen Übersetzungsprogrammen wie dem Chat GPT oder DeepL untersucht. Er gibt einen Einblick in seine Erfahrungen mit dieser Technologie und wie sie die Arbeit des Übersetzers beeinflusst hat. Der Essay betont, dass maschinelle Übersetzungen zwar in der Lage sind, schnelle und präzise Ergebnisse zu erzielen, jedoch oft die Tiefe und Komplexität des ursprünglichen Textes vermissen lassen. Er argumentiert, dass die wahre Leistung des Übersetzens in den Prozessen vor der finalen Übersetzung liegt, wie z.B. die Kenntnis der kulturellen, sprachlichen und kognitiven Hintergründe, die notwendig sind, um eine präzise und angemessene Übersetzung zu erstellen. Der Essay bietet auch Perspektiven auf die Zukunft der maschinellen Übersetzung und die Rolle des Übersetzers in diesem Kontext.
Ettore Mjölsnes
Die neueste Generation maschineller Übersetzungsprogramme liefert Ergebnisse, die als äusserst vielversprechend wahrgenommen werden. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis die Maschine den Übersetzer überflüssig macht.
Vergessen geht dabei, dass der Sinn des Übersetzens im herkömmlichen Sinn sich nicht in der Lieferung eines fertigen Textes erschöpft. Vielmehr ist jeder Übersetzer innerhalb eines materiellen und geistigen Umfelds tätig, das sich in der Übersetzung spiegelt. Insofern liegt die eigentliche sprachliche, kulturelle, kognitive und auch wirtschaftliche Leistung des Übersetzens in jenen Vorgängen begründet, die dem Endprodukt voraus gehen.
Darin liegt der wesentliche Unterschied zwischen der Übersetzung der Maschine und jener des Menschen. Die rechnerisch hergestellte Zeichenfolge, welche die Maschine liefert, ist, selbst wenn sie fehlerfrei ist, eine leere Hülle, die keinerlei Spur eines Entstehungshintergrunds in sich trägt und somit auf nichts ausser auf sich selbst verweist.
Die Maschine produziert einen letztlich stummen Text.
Inhalt
Der Glanz der Maschine
Die Mehrsprachigkeit als Grundmerkmal des Menschen
Die Tätigkeit des Übersetzens
Der übersetzte Text spiegelt seine Voraussetzungen
Der maschinelle Text als Trompe-l’oeil
Die Maschine als Hilfsmittel?
Der Mythos des Post-Editing
Der stumme Text
Ein Beispiel aus der Praxis
Anmerkungen
Danksagung
Über den Autor
Autor
Ettore Mjölsnes ist im Kanton Tessin mit den drei Sprachen Italienisch, Deutsch und Norwegisch aufgewachsen. Er hat an der Universität Zürich Russisch, Philosophie und Norwegisch studiert und lebt heute in der Deutschschweiz. Er arbeitet als Italienischübersetzer, schwerpunktmässig in den Bereichen Gesetzgebung und amtliche Texte.
Leserezension
Ettore Mjölsnes setzt sich in seinem Buch „Der stumme Text“ mit maschinellen Übersetzungsprogrammen auseinander. Es ist nur ein schmales Büchlein, doch beeindruckt das profunde Wissen und die Vielseitigkeit, mit der Mjölsnes in vielen Beispielen aus Geschichte, Literatur und Philosophie über Sprache und die Tätigkeit des Übersetzens schreibt.
Er zieht zuerst Parallelen zu „perfekten“ androiden Maschinen, wie man sie zum Beispiel in Filmen sehen kann. So wie diese Androiden dort bewirkten auch maschinelle Übersetzungsmaschinen eine gewisse Faszination und Bewunderung – ganz besonders die moderneren Versionen. Diesen gesteht Mjölsnes durchaus eine ordentliche Qualität und praktischen Nutzen zu.
Ettore Mjölsnes geht es aber nicht um das Endprodukt einer Übersetzung, sondern um die „Technologie als solche , mitsamt dem Sprachen- und Menschenbild , das ihr zu Grunde liegt, sowie ihre Auswirkungen auf allen Ebenen.“ (S. 13) Mit diesen wesentlichen Fragen beschäftigt er sich in diesem Buch. Entscheidend für ihn ist ein Menschenbild, das durch die verschiedensten individuellen und kulturellen Gegebenheiten geprägt ist und nur so das Menschliche repräsentiert. Jede sprachliche Äußerung, jeder Text ist so ein Abbild dieses Menschlichen und vermittelt neben der Ebene korrekter Wörter und grammatischer Strukturen ein komplexes Gebilde von Bedeutungen und Konnotationen. Mjölsnes hat dafür verschiedene Bilder, besonders passend scheint mir das vom „Hinterland“ (S. 28), das mit einem Text mitschwingt. Ein menschlicher Übersetzer reflektiere das, wenn er einen Text in eine andere Sprache überträgt. Er mache sich die Mühe, durch Recherchen der verschiedensten Art das „Hinterland“ des Verfassers zu ergründen und in die Übersetzung einfließen zu lassen. Auch der Übersetzer bringe sein eigenes „Hinterland“ mit, das in dem übersetzten Text durchscheint.
Für Mjölsnes geht bei Übersetzungen durch eine Maschine dieses „Hinterland“ verloren, und somit werde das Menschliche nivelliert. Die Maschine bringe durch ihre mechanischen Rechenoperationen nur eine Reihe sprachlicher Zeichen zustande „ohne Inhalt und ohne Hinterland“ (S. 59)
Mjölsnes sieht jedoch, dass die riesigen Datenmengen von maschinellen Übersetzungsprogrammen ein Hilfsmittel sein können für die Entscheidungen eines menschlichen Übersetzers. In der Praxis könne es auch Situationen geben, in denen durch maschinelle Übersetzungen schnell eine „Ahnung“ (S. 45) von einem Text vermittelt werde. Kritisch steht er aber zum Beispiel dem Vorgehen der Europäischen Union gegenüber, die auf ihrer Internetseite eine Übersetzungssoftware anbietet, damit man bei der Sprachenvielfalt in der EU den Kern eines Textes erfassen könne. Er vermisst dabei den Respekt für die einzelnen Sprachen der EU mit ihrem jeweiligen kulturellen Hintergrund. Dem stellt er ein Beispiel aus der Schweiz mit ihrer „paritätischen Auffassung der Mehrsprachigkeit“ (S. 61) gegenüber. Es genüge hier nicht, dass ein Text in einer Sprache verfasst und dann übersetzt werde, sondern der Inhalt eines behördlichen Textes sei dann ein „Geflecht von Interaktionen“, das die „Gleichwertigkeit der Sprachen“ (S. 62/63) garantiere.
Ich gebe dem Autor grundsätzlich recht, dass beim maschinellen Übersetzen Individualität, kulturelle Gegebenheiten und viele Feinheiten verloren gehen – und damit eben letztlich der Mensch mit seinen komplexen Erfahrungen und differenzierten sprachlichen Äußerungen reduziert wird. Es wird aber in unserer globalisierten Welt mit all den internationalen Verflechtungen wohl nicht ohne solche Hilfsmittel gehen. Seine eigentliche Kritik zielt darauf, dass sich Menschen auf das rein mathematisch-mechanische Verfahren der Übersetzungsmaschinen einlassen und verlassen und vielleicht nicht mehr nach einem „Hinterland“ suchen oder es gar nicht mehr verstehen.
Vielleicht könnte Ettore Mjölsnes konkreter auf die von ihm befürchteten Auswirkungen auf das „Sprachen-und Menschenbild“ eingehen. Ihm gelingt es aber, ein Bewusstsein zu schaffen für die wahren Defizite solcher Programme (eben nicht, dass sie hin und wieder falsche Wörter oder Ähnliches produzieren) sowie dafür, bei ihrer Benutzung und Beurteilung eine kritische Distanz zu wahren. Das ist ein wichtiger Beitrag.
Das Besondere und Schöne an diesem Buch ist aber, was und wie Ettore Mjölsnes über Sprache und das Übersetzen schreibt.
C.S.
KI-generiertes Bild auf Basis der Anweisung “Roxane (rechts) liest die vermeintlichen Liebesbriefe von Christian de Neuvillette (links) in "Cyrano de Bergerac", 2023, Made by Digiboo & DALL·E 2
KI UND SPRACH-ÜBERSETZUNG (TABLE RONDE)
11. MAI 2023
HAUS DER BEGEGNUNG, BERN
REFERENTEN
Ettore Mjölsnes
Jean-Luc Egger
Elisabeth Ehrensperger
Wir freuen uns sehr, Sie zur Veranstaltung "KI und Sprachübersetzung" (Table Ronde) am 11. Mai 2023 im Haus der Begegnung in Bern einzuladen.
Die Veranstaltung richtet sich sowohl an Fachleute aus den Bereichen Künstliche Intelligenz, Sprachtechnologie und Übersetzung als auch an die breite Öffentlichkeit.
In der heutigen Zeit gewinnt die maschinelle Übersetzung immer mehr an Bedeutung, und KI-Technologien zur Sprachübersetzung werden immer häufiger eingesetzt. Das Ziel unserer Veranstaltung ist es, den aktuellen Stand der Forschung und Entwicklung im Bereich der maschinellen Übersetzung aufzuzeigen, die Möglichkeiten und Grenzen von KI in der Sprachübersetzung zu diskutieren und eine kritische Auseinandersetzung mit der maschinellen Übersetzung anzuregen.
Unsere Referenten werden dabei verschiedene Perspektiven aufzeigen und in eine offene Diskussion mit dem Publikum eintreten.
Den Auftakt macht der Übersetzer und Autor Ettore Mjölsnes mit seinem Vortrag "DeepL und deren Anwendung bei der Bundesverwaltung". Anschließend wird Jean-Luc Egger aus theoretischer Sicht einen generellen Input geben (auf Französisch), gefolgt von einem kurzen Input von Elisabeth Ehrensperger aus Sicht der Technologiefolgen-Abschätzung.
In der Diskussionsrunde möchten wir gemeinsam mit dem Publikum die Chancen und Risiken der maschinellen Übersetzung erörtern und die Rolle des menschlichen Übersetzers in diesem Kontext diskutieren.
Wir laden Sie herzlich dazu ein, an dieser spannenden Veranstaltung teilzunehmen und sich mit uns über die Zukunft der Sprachübersetzung auszutauschen. Bitte beachten Sie, dass der Eintritt kostenlos ist, aber aufgrund begrenzter Plätze eine Anmeldung erforderlich ist.
Programm und Zeitplan der Veranstaltung:
Ab 18:15: Eintreffen und Check-in
18:30 - 18:35: Begrüßung und Vorstellung des Themas durch den Moderator Walther Fuchs.
"KI und Sprachübersetzung" – eine persönliche Vorstellung: Drei Input-Sessions:
18:35 - 18:50: Input 1 von Ettore Mjölsnes zu DeepL und deren Anwendung bei der Bundesverwaltung.
18:50 - 19:00: Input 2 von Jean-Luc Egger aus einer theoretischen Perspektive (in Französisch).
19:00 - 19:10: Input 3 von Elisabeth Ehrensperger im Hinblick auf Technologiefolgen-Abschätzung
19:10 - 19:30: Diskussion mit dem Publikum
19:35: Ende der Veranstaltung
Freier Eintritt: Eine besondere Veranstaltung erwartet Sie!
Damit wir besser planen und für ein optimales Erlebnis sorgen können, bitten wir Sie, sich im Voraus anzumelden. Klicken Sie einfach auf den untenstehenden Button, um Ihre Teilnahme zu bestätigen.
Veranstaltungsort: Haus der Begegnung Mittelstrasse 6a 3012 Bern Bus Nr. 20 bis Station "Mittelstrasse" (Richtung Länggasse). Fussmarsch ab Bahnhof ca. 10 Minuten.
Literaturempfehlung:
Für alle Interessierten empfehlen wir zudem das Buch "Der stumme Text. Eine Kritik der maschinellen Übersetzung” von Ettore Mjölsnes.
Table Ronde “Il mestiere del tradurre”, il ciclo di incontri a Mendrisio”
“Das Geheimnis der Übersetzung“: Die dreiteilige Veranstaltungsreihe von LaFilanda in Mendrisio untersucht die Errungenschaften und Perspektiven der Übersetzung in der Schweiz. Am Freitag, 16. September um 20.15 Uhr startet LaFilanda in Mendrisio eine dreiteilige Veranstaltungsreihe zum Thema „Das Geheimnis der Übersetzung“, die sich mit den Errungenschaften und Perspektiven der Übersetzung in der Schweiz auseinandersetzt. Die Übersetzung ist in unserem Land ein besonders wichtiges Instrument des Dialogs und der nationalen Einheit. Die zunehmenden zentrifugalen Tendenzen, die Rolle der englischen Sprache, die globale Kommunikation, die Online-Übersetzer und andere Faktoren erfordern Momente der Reflexion und des Rückblicks, um das Erreichte zu bewerten und neue Lösungen zu finden. Der Bereich der Übersetzung stellt somit eine grosse Herausforderung für die schweizerische Mehrsprachigkeit im Spannungsfeld zwischen dem Einsatz maschineller Hilfsmittel und den kulturellen Anforderungen dar. Am ersten Abend geht es um die Produktivität von Online-Übersetzern in diesem Bereich und um die Frage, welche Vorkehrungen getroffen werden müssen, um einen angemessenen Service zu gewährleisten. Das Thema wird auf allgemeinere Fragen der Mehrsprachigkeit und des Dialogs zwischen den Sprachgemeinschaften des Landes ausgeweitet, da ein wesentlicher Teil der Übersetzungen allgemeine SRG-Projekte wie Play Suisse betrifft. Die Schriftstellerin und Übersetzerin Anna Ruchat wird in das Thema einführen, während die Gäste von Mal zu Mal wechseln. An der ersten Sitzung nehmen Staatsrat Manuele Bertoli in seiner Eigenschaft als Präsident des Forums der italienischen Sprache in der Schweiz und Alessandro Marcionni, Leiter der Abteilung Dokumentation und Fiktion des RSI, teil. Die Moderation übernimmt Stefano Vassere, Direktor der Tessiner Bibliotheken. Das Publikum hat ausreichend Zeit, Fragen zu stellen und die Diskussion zu vertiefen.
Abbildung (oben) Brocke- und Wernicke-Areale des Gehirns (Sprachzentren), MRI. Katja Heuer und Roberto Toro. Namensnennung 4.0 International (CC BY 4.0)